Farbleitsysteme an Schulen in Deutschland: Aktueller Stand

Dejan Pavlovic

Verbreitung und Schularten

Farbleitsysteme – also farbcodierte Orientierungshilfen – sind in den letzten Jahren an vielen Schulen in Deutschland eingeführt worden. Ihren Ursprung haben sie im Jahr 2009 im Main-Taunus-Kreis (Hessen) als Reaktion auf den Amoklauf von Winnenden 2009. In diesem hessischen Landkreis sind mittlerweile alle 57 Schulen mit dem Farbleitsystem ausgestattet. Auch im benachbarten Kreis Groß-Gerau sowie in Städten wie Frankfurt am Main und Wiesbaden wurden Schulgebäude entsprechend nachgerüstet. Bundesweit war das System bereits 2019 an rund 200 Schulen im Einsatz, Tendenz steigend. Nach Angaben der Entwickler sind inzwischen „weit über 400 Schulen, öffentliche Einrichtungen und Krankenhäuser“ – darunter zahlreiche Schulen in Hessen, anderen Bundesländern und sogar in der Schweiz – mit einem Farbleitsystem versehen.

Schularten: Eingesetzt wird das System in allen Schulformen: von Grundschulen über weiterführende Schulen (z. B. Gesamtschulen, Gymnasien) bis zu Berufsschulen und Förderschulen. Beispielsweise wurden im Main-Taunus-Kreis neben Grundschulen auch eine Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen mit dem Farbleitsystem ausgestattet. Selbst kleine Grundschulen profitieren – etwa im Kreis Hofheim-Lorsbach, wo auch eine Dorfschule das System erhielt. Oft sind es jedoch große, unübersichtliche Schulzentren (z. B. Gesamtschulen mit mehreren Gebäudeteilen oder Campuslösungen), die als erste ein Farbleitsystem einführen, um die Orientierung zu verbessern.

Das Farbleitsystem erfüllt alle Kriterien, in naher Zukunft zur DIN-Norm zu werden.
Architekturpläne einer Schule
FLS-Pläne einer Schule

Ziele und Nutzen von Farbleitsystemen

Farbleitsysteme erfüllen mehrere wichtige Funktionen im Schulalltag und für die Sicherheit:

Orientierungshilfe für alle: Durch farblich gekennzeichnete Gebäudebereiche, Flure und Räume finden sich Schüler*innen, Lehrkräfte und besonders ortsfremde Personen (Eltern, Besucher) leichter zurecht. Insbesondere für neue Schüler oder Besucher bietet das Farbsystem eine schnelle visuelle Orientierung, z. B. „Wo ist das Lehrerzimmer? Wo die Aula?“. Selbst an kleineren Schulen, wo Schüler und Personal sich auch ohne Leitsystem auskennen würden, „erleichtert es für Eltern die Orientierung“ erheblich.

Barrierefreiheit und Inklusion: Farbleitsysteme sind ein Beitrag zur inklusiven Schulgestaltung. Sie helfen Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen, sich selbständig im Gebäude zu bewegen. Eine verbesserte Orientierung kommt „einer großen Anzahl von Menschen mit mobilem Handicap, visueller Beeinträchtigung, eingeschränkter geistiger Wahrnehmung oder einfach Menschen mit sprachlicher Schwäche oder Migrationshintergrund“ zugute. Farben sind leicht erkennbar und überbrücken Sprachbarrieren; in vielen Schulen werden Farbleitsysteme zudem mit taktilen Elementen (Braille-Beschriftung auf Türschildern, fühlbare Bodenmarkierungen) kombiniert, um dem Zwei-Sinne-Prinzip gerecht zu werden. Auf diese Weise fördern Farbleitsysteme die Orientierung für Menschen mit Behinderungen und unterstützen die von der UN-Behindertenrechtskonvention geforderte Inklusion im Schulwesen.

Sicherheit in Notfällen (Brandschutz, Amoklauf etc.): Ein zentrales Motiv für die Einführung war die Verbesserung des Notfall- und Krisenmanagements. Klare Farbangaben und einheitliche Raumkennzeichnungen sparen im Ernstfall wertvolle Zeit. Rettungsdienste und Polizei können dank Farbleitsystem schnell zum Einsatzort gelangen, ohne sich erst durchfragen zu müssen. So berichtete ein Rettungsleiter, dass bei einem medizinischen Notfall an einer Schule der Hinweis „Gebäude A rot, Raum 102“ ausreichte, um das richtige Klassenzimmer sofort zu finden – „selbst ortsunkundige Rettungskräfte finden sich dann in einer Schule sofort zurecht“. Feuerwehr und Brandschutz profitieren ebenfalls: Farbleitsysteme markieren z. B. Gebäudeabschnitte und Treppenhäuser eindeutig, was im Brandfall oder bei Evakuierungen die Orientierung erleichtert. In Wiesbaden wird aktuell das bestehende Brandschutzkonzept an Schulen durch Integration des Farbleitsystems erweitert, um eine „systematische Ergänzung der Treppenhauskennzeichnungen“ zu erreichen und so die Sicherheit der Gebäudenutzer zu erhöhen. Insgesamt gelten Farbleitsysteme als präventiver Mehrgewinn für die Sicherheit an Schulen, da sie die schnellen Wege für Einsatzkräfte im Not- und Gefahrenfall gewährleisten.

Das Farbleitsystem ist die einzige Lösung, die sowohl Sicherheit, Inklusion und Langlebigkeit miteinander vereint.

Praxisbeispiele aus Schulen und Schulträgern

Beispiel eines Farbleitsystem-Hinweisschildes in einer Schule: Gebäudeteile werden durch Buchstaben und Farben gekennzeichnet (hier „A“ für Gebäude A, rot markiert). Solche Schilder an Türen und Wänden ermöglichen es auch Feuerwehr und Rettungskräften, schnell den richtigen Trakt und Raum zu finden.

Zahlreiche konkrete Beispiele verdeutlichen die Umsetzung und Verbreitung von Farbleitsystemen in der Praxis:

Main-Taunus-Kreis (Hessen): Alle Schulen im Kreis – insgesamt 70 – wurden in einem kreisweiten Projekt mit dem Farbleitsystem ausgerüstet. Der Arbeitskreis „Sicherheit an Schulen“ des Präventionsrats Main-Taunus entwickelte das Konzept 2009 gemeinsam mit einem Designer Dejan Pavlovic und brachte es in wenigen Monaten an sämtlichen Schulen an. Selbst kleine Grundschulen im Kreis (z. B. die GS Lorsbach) verfügen nun über Orientierungstafeln am Eingang und Farbcodierungen (etwa ein Schulgebäude in Rot, das andere in Gelb). Dieses Projekt gilt als Vorreiter und wurde patentiert; inzwischen arbeiten auch umliegende Regionen mit dem System zusammen.

Rems-Murr-Kreis (Baden-Württemberg): Angestoßen durch die Ereignisse in Winnenden 2009, führte der Rems-Murr-Kreis ein Einheitliches Orientierungssystem Schule (EOS) ein. Bereits 2010 wurden erste Schulen (z. B. in Oppenweiler und Spiegelberg) damit ausgestattet. Bis 2011 wurde ein kreisweit einheitliches Farbleitsystem umgesetzt. Inzwischen sind „die meisten der 170 Schulen im Kreis einheitlich ausgeschildert“. Das EOS-Konzept in Rems-Murr kombiniert blaue Hinweisschilder (zur Unterscheidung von grünen Notausgangs- und roten Brandschutzschildern) mit farbigen Signets für jede Gebäudeeinheit (Rot, Gelb, Grün, Braun etc.), die an allen Türschildern und der Fassade angezeigt werden. Dieses System dient als Modell für andere Kreise; der zuständige Präventionsbeamte erhält „auch von Schulen aus anderen Kreisen Anfragen, wie sie ein Farbleitsystem umsetzen können“.

Stadt Frankfurt, Wiesbaden und Kreis Groß-Gerau (Hessen): Über den Main-Taunus-Kreis hinaus haben auch andere Schulträger in Hessen das Farbleitsystem übernommen. In Frankfurt am Main und in Wiesbaden wurden bereits mehrere Schulgebäude mit dem FLS ausgestattet. Auch der Landkreis Groß-Gerau hat das System an diversen Schulen installiert – darunter z. B. die Martin-Buber-Schule in Groß-Gerau (eine integrierte Gesamtschule) sowie die Schillerschule Gernsheim.

Stadt Hamm (Nordrhein-Westfalen): Auch in anderen Bundesländern gibt es Beispiele: In Hamm wurde 2021 im Rahmen von Schulsanierungen ein Farbleitsystem an mehreren Schulen nachgerüstet. So erhielt das Märkische Gymnasium Hamm ein Farbleitsystem (Kostenpunkt ca. 18.000 €), ebenso die benachbarte Friedrich-Ebert-Realschule (ca. 22.000 €). Bereits zuvor hatte die Sophie-Scholl-Gesamtschule in Hamm-Bockum-Hövel ein Farbleitsystem eingeführt. Diese Beispiele zeigen, dass auch größere Städte außerhalb Hessens das Konzept aufgreifen und in ihre Schulgebäude investieren.

Weitere Beispiele: In vielen Neubauten wird das Prinzip von Anfang an mitgedacht. So wurde etwa am Salier-Schulzentrum in Waiblingen (BW) bei der Neukonzeption ein Farbleitsystem direkt eingeplant. Auch einzelne Berufsschulzentren (z. B. in Kriftel, Hessen) haben das System – eine Übung mit 250 Einsatzkräften an der dortigen Berufsschule zeigte, dass sich die Helfer dank Farbleitsystem „sehr zielorientiert im Bereich der Schule bewegen“ konnten. Sogar international findet das Konzept Beachtung: Eine Schweizer Schule hat es übernommen, und selbst aus den USA gibt es Interesse an solchen Orientierungssystemen.

Es gibt mehrere Orientierungssysteme an Schulen. Nur das Farbleitsystem ist das umfangreichste und flexibelste System, dass zur Zeit angeboten wird.
FLS-Schulen im Rhein-Main-Gebiet. Stand 06.2025

Offizielle Empfehlungen und Vorgaben

Eine bundesweit verbindliche Vorschrift zur Einführung von Farbleitsystemen an Schulen gibt es derzeit nicht. Ob ein solches Orientierungssystem installiert wird, liegt in der Regel im Ermessen des jeweiligen Schulträgers (Kommune oder Landkreis) und hängt von dessen Bereitschaft ab, in Sicherheit und Barrierefreiheit zu investieren. Präventions- und Sicherheitsgremien können bislang nur Empfehlungen aussprechen; die Verbindlichkeit fehlt häufig, wie Fachleute bedauern. So stellte der Rems-Murr-Kreis sein Farbleitsystem zwar allen Schulen bereit, doch eine landesweite Verpflichtung in Baden-Württemberg entstand daraus nicht. Ähnlich ist die Lage in anderen Bundesländern: Nach schweren Gewaltvorfällen (etwa Erfurt 2002 oder Winnenden 2009) wurden zwar Rahmenempfehlungen zur Schulhaus-Sicherheit herausgegeben, aber konkrete bauliche Orientierungshilfen wie Farbleitsysteme blieben zumeist freiwillige Maßnahmen der Schulträger.

Gleichwohl existieren offizielle Empfehlungen und Richtlinien, die Farbleitsysteme nahelegen.

About Dejan Pavlovic Designer, Media Consultant, Business Angel
Seit 1994 entwickele ich als Designer für Unternehmen nach dem Prinzip der “10 Heuristiken” Userinterfaces und Webseiten. Durch Zufall bin ich durch die Krisenfälle in Deutschland seit 2009 mit dem Thematik der Leitsysteme und Orientierung in Berührung gekommen. Entwickelt wurde dadurch das Farbleitsystem (FLS). Mittlerweile wird es bundesweit an Schulen und öffentlichen Gebäuden von uns realisiert. Gerne tausche ich mich mit Planern, Betroffenen, Kritikern oder Befürwortern aus und erkläre, was ich mir während der Entwicklung gedacht habe. Leider gibt es einige Menschen, die gerne ohne mein Wissen über die Vor- und Nachteile eines einheitlichen Systems urteilen und einen Dialog mit mir meiden, was ich sehr schade finde. Auch kann es sein, dass ich mit manchen Thesen am Ende nicht immer richtig lag oder auch manches aus meinem Blickwinkel anders interpretiere. Das ist menschlich und im Schaffensprozess natürlich. Daher freue ich mich über Gegendarstellungen und andere Erfahrungen. Ich lasse mich gerne überzeugen und ergänze dann das Gesamtbild.
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